10. Der Guggischuhmacher

Ältere Leute von Kippel erinnern sich noch daran, dass es im Dorf viele Arbeiter gab, die auf der „Stör“ arbeiteten. Auch drei Schuhmacher zogen einst gemeinsam von Haus zu Haus und boten ihre Dienste an. Sie waren bei ihrer Arbeit immer fröhlich und erzählten sich die tollsten Geistergeschichten. Eines Abends, es war Quatembertag, fragte einer der Schuhmacher plötzlich, ob wohl heute noch jemand auf die Guggialp gehen und in der Hütte vom „Trimmernazi“ ein Paar Schuhe flicken dürfe. Dort soll es nämlich nicht ganz geheuer sein – schon oft habe man dort an solchen Tagen einen „Bozu“, ein Gespenst, gesehen. Nach längerem Besinnen sagte der Zweite: „Wer heute noch geht, bekommt die schönste Trinkkuh des Tales. Dafür will ich sorgen.“ Der Mutigste von allen meinte: „Gut, ich gehe! Aber ihr müsst mir ein gesatteltes Pferd, einen scharfen Säbel und eine geweihte Kerze mitbringen!“

Das Verlangte wurde gebracht und bald darauf war er unterwegs. Bis Tennmatten ging alles gut. Hier schlug ihm plötzlich ein Zweig ins Gesicht und auch das Ross blieb stehen. Der Schuhmacher hatte den Eindruck, in der Dornstaude schleiche etwas herum. Er ergriff den Säbel und schlug wuchtig in die Dornen. Da rief es drohend aus der Staude: „Hettischt hinad nid Riissends und Blissends, Gwichts und Gwachsts, teet ich dich jetz z`chleinä Fätzen zerschriissen. Wenn aber chuischt zn „Chluischteinen“, will ich dich lern schpinn rein!“ Weiter ging der Ritt, an Ried und Blatten vorbei, und ohne noch jemand anzutreffen, kamen Ross und Reiter zu den „Chluischteinen“. Auf beiden Steinen, zwischen welchen der Weg zum Guggistafel durchgeht, stand spreizend eine feurige Gestalt, je näher der Schuster ritt, grösser und grässlicher wurde.

Das Pferd wollte nicht mehr weiter, aber der Schuhmacher machte das Kreuzzeichen und sagte laut: „Emal dr lebändig Tiifel wirscht äs deichen nid siin!“ – und der Geist liess ihn durch. Vor der Hütte des Trummernazi band er das Ross an und trat ein. Als er die Stubentüre öffnete, gruselte es ihn doch ein wenig und er zündete die Kerze an, machte Feuer auf der „Trächa“ und los ging’s mit dem Schuhbeschlagen. Wie er fleissig bei der Arbeit war, hörte er draussen ein Geräusch und dachte: „Nun ist er da, der Geist!“ Schon klopfte es ans Fenster, der Fensterflügel wurde weggeschoben, und dann glotzte ein Gesicht herein wie ein Schweinegrind und aus den Augen blitzte es wie Feuer. Der Schuhmacher liess sich nicht stören und schlug Nagel um Nagel ein. Bald sass der Geist neben ihm auf der Bank und fing an, in seiner Werkzeugkiste zu wühlen. Um jedes Instrument fragte et den Schuster: „Was ist das? Und das? Und dieses Ding?“ Dem Schuster wurde es allmählich zu bunt und er schlug dem Geist mit dem Schusterholz auf die frechen Pfoten. Sobald der letzte Nagel in den Sohlen steckte, stand der Schuster auf und ging mit seinem Proviant zur Feuerstelle.

An der Glut briet er den Käse, weil er sich für die Heimreise stärken musste. Die Stubentüre stand offen, und da kam auch schon der Fratzengeselle heraus und setzte sich ebenfalls an die „Trächa“. So wie der Schuster den Käse begann der Bozu seine Ferse am Feuer zu braten. Und so wie der Schuster vom Käse abschnitt, so schnitt der komische Geist mit dem langen Schustermesser von seiner Ferse ab und sagte: „Willst du auch davon?“ – Der Schuster antwortete mit Nachdruck: „Ich ässen mis und du ässischt diis, jedä ässid schini Spiis! “ Als der Geist nochmals von seiner gebratenen Ferse anbot, riss ihm der Schuster das Messer aus der Patze und stach ihm kräftig in die Ferse. Ein schauriges Geheul und Geschrei donnerte durch die Hütte, so dass dem Schuster die Lust aufs Essen restlos verging. Schnell packte er zusammen, sprang aufs Pferd und galoppierte talwärts Richtung Kippel. Lange hörte er noch das Fluchen und Heulen des Guggibozu, aber er schaute nicht mehr zurück, und war bald wieder bei seinen Kameraden, die sich schon Sorgen machten.

Der Goori meint zur Sache: Mit einer gesunden Portion Mut lässt sich viel gewinnen ...